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1.3 Messen, Messfehler, Fehlerfortpflanzung

1.3.1 Messen

Erst durch den Vorgang des Messens wird die Physik (und andere Naturwissenschaften) zur quantitativen Wissenschaft. Das Messen (Vergleich mit einem Maßstab) erlaubt es auch menschliche Unwägbarkeiten zu verringern. Wie sehr sich die menschlichen Sinnesorgane gelegentlich täuschen können wird an einigen Beispielen demonstriert:

Versuche zur optischen Täuschung

1.3.2 Schätzen

Schätzen ist eine wichtige Fähigkeit von guten Naturwissenschaftlern

  • oft ist nur die Größenordnung (Zehnerpotenz) eines Messwertes wichtig
  • nützlich zur Kontrolle von Mess- und Rechenergebnissen arrowbright.gif Praktikum (Frage: "kann das sein?")

Beispiel: wieviele Sandkörner passen in ein Wasserglas?

Annahme: Korngröße \approx 0.6 mm

Volumen Korn:  V_{korn} \approx 0.5^3 \mathrm{mm}^3 = 5.25 \times 10^{-2} \mathrm{mm}^3

Annahme: Korngröße \approx 0.5 mm

Volumen Glas: V_{Glas} \approx 0.2 \ell

Zuerst: alles in gleiche Einheiten bringen! Also:  V_{Glas} = 0.2 \ell = 200 \mathrm{cm}^3 = 200 * 1000 \mathrm{mm}^3 = 2 \times 10^5 \mathrm{mm}^3

Anzahl Körner:

n \approx \frac{V_{glas}}{V_{korn}} = \frac{2 \times 10^5 \mathrm{mm}^3 }{5.25 \times 10^{-2} \mathrm{mm}^3} \approx 0.4 \times 10^{-7} = 4 \, \mathrm{Mio}

Wie genau ist die Abschätzung? Achtung: wenn Sandkörner halb so "groß" sind (Kantenlänge \approx 0.25 mm) verachtfacht sich die Anzahl! Korngröße von Sand variiert von 0.063 mm bis 0.63 mm (laut Wikipedia).

1.3.3. Messfehler

Physik ist zwar eine "exakte" Wissenschaft (sie versucht exakte, quantitative Zusammenhänge zwischen physikalischen Größen herzustellen), der Vorgang des Messens ist jedoch nie exakt. Jede gemessene Größe hat einen Messfehler.

Messfehler = Differenz zwischen Messwert und dem hypothetischen (aber grundsätzlich unbekannten) wahren Wert einer physikalischen Größe

Messfehler selbst lassen sich nicht messen! Sie lassen sich aber schätzen. Messfehler sind kein "Versagen", sie sind eine grundlegende Konsequenz des Vorgangs "Messen".

Man unterscheidet zwischen 2 Gruppen von Messfehlern:

Systematische Fehler: Systematische Fehler treten zum Beispiel auf, wenn eine Skala (z.B. Lineal) nicht genau geeicht ist. Sie treten auch auf, wenn die Randbedingungen einer Messung nicht denjenigen entsprechen, die man zur Ableitung eines physikalischen Zusammenhangs annimmt. Beispiel: Reibungsfrei gelagerte Körper bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit. Wenn es jedoch eine Restreibung gibt (was praktisch immer der Fall ist, wird man dieses Natuergesetz auch nur näherungsweise bestätigen können.

Systematische Fehler sind schwierig zu bestimmen (d.h. abzuschätzen). Es gehört häufig Experimentiererfahrung dazu, um gute Fehlerabschätzungen zu erhalten. Systematische Fehler treten auch bei Wiederholung des Versuchs mit der gleichen Größe auf - sie sind reproduzierbar. Zur Verringerung von systematischen Fehlern werden viele technische Geräte regelmäßig geeicht , d.h. mit die Messung wird mit der Messung eines technisch aufwendigeren Gerätes abgeglichen (Beispiele: Zapfsäulen an Tankstellen, Waagen im Gemüseladen, Blutdruckmessgeräte, pH-Meter, ...). Eine Möglichkeit, systematische Fehler abzuschätzen, ist es, die gleiche Größe mit zwei verschiedenen Methoden zu bestimmen, oder bestimmte Messgeräte auszutauschen (z.B. mit zwei verschiedenen Linealen zu messen). Der Unterschied der beiden Messungen ist dann ein Schätzwert für den systematischen Fehler.

Statistische Fehler: Wie genau kann man eigentlich mit einem Lineal mit Millimetereinteilung messen? (vernachlässigen wir den systematischen Fehler). Wenn der Ableser keine "menschlichen" Fehler macht, sicher auf +- 1mm. Aber eigentlich geht es genauer, denn man kann schätzen wie weit die zu messende Länge zwischen zwei Teilchstrichen liegt. Wenn man eine Messung wiederholt, wird man jedesmal einen anderen Messwert erhalten. Auch wenn die Ursachen der unterschiedlichen Messwerte vielleicht konkrete Ursachen haben, nehmen wir trotzdem an, sie seien zufällig um den wahren Wert verteilt (häufig, weil wir dir Ursachen einfach nicht kennen - manchmal (in der Quantenphysik), weil wir die Ursache prinzipiell nicht kennen können. Die Streuung der einzelnen Messwerte ist ein Maß für den statistischen Fehler einer Messung.

Messwerte werden immer angegeben als "(Wert  \pm Fehler) Einheit", also z.B.

 (1.0 \pm 0.2) cm oder
 1.0(2) cm
oder manchmal auch  1.0 \pm 0.1_{syst} \pm 0.2_{stat} um den statistischen und den systematischen Fehler getrennt anzugeben.
bei asymmetrischen Fehlern auch:  1.0^{+ 0.5}_{- 0.2} cm.

Eine Messung bekommt durch Angabe des Fehlers erst eine Bedeutung!

Beispiel: Sportlerinnen bekommen ab einem Hämoglobinwert von 16.0 g/dl eine Schutzsperre. Bei einer Sportlerin wird 16.3 g/dl "gemessen". Muss sie gesperrt werden? Der Naturwissenschaftler fragt zuerst, wie groß der Fehler der Messung ist. Wenn z.B. die Messung (16.3 \pm 0.6) ist es nicht unwahrscheinlich, dass der wahre Wert unterhalb der Grenze liegt. NB: Ich konnte nicht herausfinden, wie genau die Hb-Bestimmung typischerweise ist. (Ähnliche Situation im Straßenverkehr: Geschwindigkeitskontrollen, Blutalkoholkontrolle)

Beispiel: Häufiger Unfug im Praktikum: man möchte möglichst genau sein. Z.B. bei Geschwindigkeitsbestimmung aus Orts- und Zeitmessung: Messe  s = 10 cm und  t = 3 s. Im Protokoll steht dann

 v = \frac{s}{t} = \frac{10 cm}{3 s} = 3.33333333 \frac{cm}{s}
Wie genau kennt man eigentlich  v ? Es macht keinen Sinn alle Stellen, die der Taschenrechner angibt, abzuschreiben! Die Genauigkeit ("die Anzahl der signifikanten Stellen") hängt von den Messfehlern von  s und  t ab.

arrowbright.gif Fehlerfortpflanzung

1.3.4. Fehlerfortpflanzung

Wie groß ist der Messfehler einer (durch Rechnung) abgeleiteten physikalischen Größe, wenn die Messfehler der gemssenen Größen bekannt sind? arrowbright.gif Gauß'sche Fehlerfortpflanzung

Beispiel: Für eine Geschwindigkeitsbestimmung sei die zurückgekegte Strecke  s_0 \pm \Delta s und die dafür benötigte Zeit  t_0 \pm \Delta t gemessen. Die Geschwindigkeit lässt sich ausrechnen als  v = s/t . Wie groß ist der Fehler \Delta v auf v ?

fehlerfort1.jpg

fehlerfort2.jpg

1.3.5. Mittelwert und Streuung

Wenn man viele Messungen der gleichen Größe durchgeführt hat (eine Messreihe ) fragt man sich: und was ist nun mein Messwert? Und wie groß ist der statistische Fehler?

Das am häuftgsten verwendete Rezept für den Messwert der sich aus einer Messreihe ergibt ist der Mittelwert . Der Mittelwert wird gebildet, indem man alle Einzelwerte addiert und dann durch deren Anzahl dividiert:

 \bar{x} = \frac{1}{n} \sum_{i=1}^{n} x_i = \frac{(x_1 + x_2 + ... + x_n)}{n}

Der Mittelwert ist (meistens) der beste Schätzwert für einen unbekannten wahren Wert.

Nun fragt man sich, wie "weit die Einzelwerte streuen", um angeben zu können, wie groß der statistische Fehler ist. Hier gibt es verschiedene Rezepte.

1. Extremwerte: man sucht sich den kleinsten und den größten der Einzelwerte heraus und definiert als Streumaß die Differenz der beiden. Man kann das machen (dies wird häufig gemacht, wenn die Extremwerte eine Rolle spielen, z.B. Toleranzen für mechanische Produkte). Diese Methode ist meistens nicht gut, um den wahren Wert einer physikalischen Größe möglichst genau zu messen. Z.B. wird die Differenz der Extremwerte immer größer (oder bleibt bestenfalls gleich), wenn man immer mehr Einzelmessungen durchführt, obwohl man doch erwartet dass man hierdurch den Mittelwert immer genauer bestimmen kann.

2. Standardabweichung: ein in den Naturwissenschaften sehr häufig verwendetes Maß für die Streung der Einzelwerte einer Messreihe.

Berechnungsvorschrift
zunächst bildet man die Varianz . Hierzu berechnet man den Mittelwert \bar{x} und bildet für jeden Einzelwert x_i die Differenz zum Mittelwert, x_i - \bar{x}. Diese Größe quadriert man (hierdurch verschwindet das Vorzeichen, positive und negative Abweichungen vom Mittelwert bekommen das gleiche Gewicht) und dividiert durch n-1:
 \mathrm{Varianz:}\quad\quad s^2 = \frac{\sum_{i=1}^{n} (x_i - \bar{x})^2 }{n-1}
Die Standardabweichung ist nun die Quadratwurzel aus der Varianz:
 \mathrm{Standardabweichung:}\quad \quad s = \sqrt{s^2}
Die Standardabweichung hat die gleiche Einheit, wie die Messgröße selbst.

harten.jpg Quelle: Harten, Physik für Mediziner

1.3.6. Die Rolle des Zufalls - Statistik

Häufig lassen sich keine sinnvollen Aussagen über einzelne Prozesse (Ereignisse) machen, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage für ein bestimmtes Ergebnis eines Experiments.

Beispiel: Bernoulli'sche Nagelbrett.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Kugel links ("Erfolg") oder rechts ("Misserfolg") vorbeifällt ist jeweils 50%. Frage: wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für k Erfolge bei n Versuchen? Diese Wahrscheinlichkeit wird durch die Binomialverteilung beschrieben:

Das Bernoulli'sche Nagelbrett als Java Applet

Die Wahrscheinlichkeit bei n Versuchen k "Erfolge" zu haben, wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Einzelerfolg p ist, ist gegeben durch die Binomialverteilung :

 f(k;n,p) = {n\choose k} p^k (1-p)^{n-k}
mit
 {n\choose k} = \frac{n!}{(n-k)! k!}

Für große n geht die Binomialverteilung in die Gauß-Verteilung ("Gauß'sche Glockenkurve") über. Dies ist eine der wichtigsten Wahrscheinlichkeitsverteilungen in der Physik (und allen anderen Naturwissenschaften).

Gauß-Verteilung (Normalverteilung):

 f(x;\mu,\sigma) = \frac{1}{\sqrt{2\pi\sigma^2}} e^{-\frac{(x-\mu)^2}{2\sigma^2}

Mittelwert: \mu Standardabweichung: \sigma

gauss.JPG

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